Mein Gartenparadies
Mein Gartenparadies
Balkonistan, ein Abbild
Noch heute denke ich beim Wort Garten in erster Linie an einen Gemüsegarten und als Kind konnte ich mir unter einem Garten gar nichts anderes vorstellen. Von seiner herben Schönheit bin ich nach wie vor fasziniert. Das Gestrenge, das Geregelte verliert sich bald nach dem Anpflanzen und je weiter das Wachstum des Gemüses fortschreitet, je fülliger und üppiger sich das Grün entwickelt, desto weicher dünkt mich sein Aussehen. Die Salate wachsen mit der Zeit nahe zusammen, Mangold treibt grüne Blätter an weißen, gelben und roten Stielen, Spinat bleibt geduckt im dunklen Grün, die Tomaten brauchen Schutz und Sonne. Das Beet mit den Buschbohnen scheint den Schatz gut zu hüten, denn nur gebückt beim Pflücken entdeckt man seinen Reichtum, die Stangenbohnen dagegen geben ihre Fülle nur dem preis, der sich reckt und streckt. Über das zarte gefiederte Kraut der Karotten streicht der Wind, Zwiebeln und Lauch wirken dagegen steif und unbeweglich, knorrig besetzt der Rosenkohl Monat um Monat den Platz, bis er sich im Winter einsam immer noch behauptet, wie ein Wächter eines vergangenen Reiches. Die Kartoffelpflanzen wirken robuster als sie sind, und haben mehr Feinde, als man vermuten möchte, Käfer und Pilze schaden sichtbar, Mäuse und Drahtwürmer zunächst unentdeckt.
Unser Gemüsegarten lag auf der Rückseite unseres Hauses und hatte ein beträchtliches Ausmaß. Wir ernährten uns davon, denn meine Mutter verstand es gut, ihn geschickt zu bewirtschaften und die Ernte bis ins Kleinste zu verwerten. Am Rande des Gartens, zum Nachbarn hin standen die Beerensträucher, es gab einen Zwetschken- und drei Apfelbäume, einen Birnbaum und an die südliche und westliche Hauswand schmiegten sich die Marillenbäume. „Ich brauche das ganze Jahr weder Obst noch Gemüse zu kaufen“, sagte meine Mutter oft, „auch nicht Marmelade oder Saft. Das mache ich alles selbst. Mir tun all die Frauen leid, die sogar jedes Petersiliensträußchen kaufen müssen.“ Der Garten war eigentlich ihr Einkommen, denn meine Mutter ging keiner Erwerbsarbeit. Aber Arbeit gibt ein Gemüsegarten allemal und das nicht zu knapp. Er bestimmt mit, wann es Zeit ist zu hacken, zu pflanzen, zu jäten, zu gießen, zu schützen, zu ernten und dann optimal zu verwerten. Ein richtiger Gemüsegarten lässt sich nicht nebenher erledigen, braucht Aufmerksamkeit, körperliche Kraft, Geschick und Planung und ist doch der Unberechenbarkeit der Natur ausgesetzt. Es schmerzt, wenn ein zehnminütiger Hagelschlag die gesamte Ernte an Erbsen vernichtet, die Kohlköpfe zertrümmert und die Selleriestauden knickt. Meine Mutter ging nachsehen, was noch zu retten war.
An der Vorderseite, zum Eingang hin säumten Blumenrabatte den Weg vom Gartentor bis zur Haustür. Das Blühen dort begann zeitig im Jahr mit Polsterpflanzen und Krokussen, Narzissen und Tulpen und setzte sich im Laufe des Jahres weiter fort mit Nelken und Stauden aller Art bis im Herbst dann die Astern blühten. Weiter hinten standen die Rosen, manche von ihnen waren heikel in der Pflege und bereiteten Sorgen. Auf jeden Fall aber hatte meine Mutter immer einen Strauß bei der Hand, wenn sie einen Besuch machte.
Als Kind spielte ich gerne und viel im Garten, grub in der Erde, suchte Steine, fürchtete mich vor den roten Ameisen, fand leere Schneckenhäuser und Vogelfedern. Der Geruch nach Gras, nach Erde, nach frisch gepflückten Tomaten, die etwas pelzigen Blätter der Bohnen, die glatten der roten Beete, die Süße der Himbeeren, die im Mund in lauter kleine Perlen zerfielen, der Geschmack der jungen Erbsen, die ich gerne vom Strauch weg knabberte, wenn ich an all das denke, glaube ich für einen Augenblick es nochmals zu empfinden.
Als Kind mochte ich noch lange nicht jedes Gemüse, am allerwenigsten die Bohnenkerne, die an der Spitze der Stangen, wo niemand sie erreichen konnte in den Hülsen ausreiften und sich im Winter in der Gerstensuppe wiederfanden. Ich fischte gleich zu Beginn der Mahlzeit die Bohnen nacheinander aus der Suppe und schluckte sie ganz hinunter, um danach das Gericht zu genießen, denn die Gerste und das übrige Gemüse schmeckte mir. Auch Rosenkohl und Sellerie, Lauch und Zwiebeln versuchte ich zu umgehen so gut ich konnte. Heute koche ich liebend gerne damit.
Das ist nicht das Einzige, das sich grundlegend verändert hat. Ich wohne schon lange nicht mehr in einem Haus mit Garten. Anders als meine Mutter begebe ich mich morgens zu meiner Arbeitsstelle und kehre am späten Nachmittag zurück. Bislang hätte ich niemals die Zeit gehabt, selbst unsere Lebensmittel zu erzeugen. Meine Petersilie brauche ich dennoch nicht zu kaufen.
Von der Küche aus habe ich Zutritt auf einen Balkon, der vielleicht 8 m² groß ist und ich richte ihn in jedem Frühjahr wie einen Garten. Ich sehe nach, was noch vom Vorjahr übrig ist, Thymian, Rosmarin, Salbei und Majoran, zupfe das Welke vom Schnittlauch, schneide das Verdorrte vom Bohnenkraut. Dazwischen setze ich ein paar Stiefmütterchen. Vor zwei Jahren hat mir mein jüngster Sohn ein Hochbeet gezimmert und hier pflanze ich zunächst etwas Schnittsalat und säe Radieschen. Der Mangold schlägt heuer noch einmal aus und auch das Selleriegrün hat sich für eine zweite Saison entschieden. Täglich schaue ich nach dem Rechten, gieße und lüfte das Hochbeet, denn um diese Zeit deckt eine Haube noch die zarten Pflanzen.
Im Mai, nach den Eisheiligen mache ich mich wieder gründlich ans Werk. Ich entferne die Deckhaube, pflanze Stangenbohnen, die ich an Schnüren die Wand hochwachsen lasse, setze etwas Lauch ins Hochbeet und frage Christine, ob sie mir wieder einige Pflänzchen vom Neuseelandspinat gibt, denn im letzten Jahr war ich von diesem Gemüse sehr angetan. In langen Ranken, die über den Rand des Hochbeets hinabwucherten, brachten sie Blätter hervor, die zwar etwas fleischiger sind, aber genau wie Spinat schmecken. Sehr beliebt und mit einer guten Ernte gesegnet waren die Snackgurken, die ich sicherlich wieder setze. Ich kaufe Tomaten für den großen Blumentopf, dünge mein Rosenbäumchen, tausche die Stiefmütterchen gegen Gewürztagetes und Kapuzinerkresse, Ringelblumen und vielleicht Mittagsblumen, denn die mag ich so. Die Astern, die ich nun schon viele Jahre habe, sind um diese Zeit schon merklich gewachsen und füllen die Pflanzgefäße.
Gegenüber vom Hochbeet wuchern in einem großen Topf Clematis und bedecken die Wand, dort stehen eine Bank, Stühle und ein Tisch, grad wie in einer Laube. Es ist der Lieblingsplatz von uns allen vom Frühjahr bis zum späten Herbst, vom älteren Sohn „Balkonistan“ genannt.
Am Rand unseres Parkplatzes vor dem Wohnblock habe ich im letzten Jahr mit dem Pflanzen von Kartoffeln in Säcken experimentiert und ich war bei der Ernte im Herbst so glücklich, dass ich wieder welche anbaue. Ich gab Laub und Erde in einen Jutesack und legte 2 oder 3 Kartoffeln hinein und bedeckte sie mit Erde. Als die ersten Triebe hervorlugten, deckte ich sie wieder ab und wiederholte das etwa viermal. Anders als beim Gärtnern auf dem Balkon sah ich mich plötzlich mit einem Urproblem aller Gärtner konfrontiert, nämlich den Schnecken. Um es gleich zu sagen, ich weiß kein Mittel dagegen, das mir nicht zu grausam wäre, entfernte sie einfach und warf sie anschließend in weitem Bogen in den Rasen vor dem Gebäude.
Manchmal denke ich, dass meine Mutter mit ihrem Garten und ihrer Art zu kochen heutzutage voll trendy wäre. Es gab viel Gemüse und vielleicht zweimal in der Woche Fleisch, sie ging verantwortungsvoll mit den Lebensmitteln um, kompostierte fachgerecht die Abfälle und gab dem Garten Nahrung zurück. Abhandengekommen ist lediglich der zeitliche Rahmen, der diese Art des Wirtschaftens einer Frau erst ermöglicht. Wir haben beide unsere Kinder weitgehend allein großgezogen, meine Möglichkeiten unterschieden sich jedoch grundlegend von den ihren. Jede tat ihr Möglichstes.
Mein jugendlicher Enkel meinte neulich im Gespräch, ich sei „eine Zeitreisende aus einer anderen Wirklichkeit“. Es mag sein, dass ich meinem Graben und Pflanzen an Lebensweisen anknüpfe, die er nicht kennen kann. Doch während meine Mutter noch Wissen und Erfahrungen mit der Nachbarin austauschte, habe ich, bevor ich die Kartoffeln anpflanzte, ein paar You-tube-Videos zum Thema angeschaut. Dennoch kehre ich immer mehr zurück zu Grundsätzlichem, koche frisch und reduziere Fleisch. Ich kaufe das Gemüse im Hofladen und wenn ich vor dem Zubereiten die Erde von den Karotten schrubbe und mir ihr typisch würziger Duft in die Nase steigt, klingt in mir eine zarte, dankbare Freude an. Ich bin überzeugt, eine andere Wirklichkeit als die, dass aus einem Samenkorn, einer Knolle oder einem Steckling sich die unterschiedlichsten und wundervollsten Pflanzen entwickeln und es diesen Schatz zu verteidigen und zu hüten gilt, gibt es nicht.
Zur Person:
Martha Caballero, Jahrgang 1955, ist pensionierte Schulleiterin, Mutter dreier erwachsener Kinder und hat zwei Enkelkinder. Sie macht sich in ihren kurzen Geschichten Gedanken über das Leben, indem sie Beobachtungen, Begebenheiten und Erfahrungen beschreibt und reflektiert, manchmal mit einem Augenzwinkern.