Das Ende der Majestäten
Meine Begegnung mit dem Ochsentaler Gletscher
Dass sie schmelzen, ist keine Neuigkeit. Jedes kleine Kind weiß das. Doch wer war oben und hat es mit eigenen Augen gesehen? Theoretisches Wissen und praktische Erfahrung ergänzen sich gut, lassen sich aber nicht restlos vom jeweils anderen ersetzen.
Das erste Mal vor dem Ochsentaler Gletscher stand ich 2018. Es war Anfang September und es ging in einer Fünfer-Seilschaft über den sehr steilen „Gletscherhang“ neben der sogenannten Grünen Kuppe hoch. Fünf Jahre später stand ich wieder da, der Gletscherhang aber nicht mehr. Er war komplett verschwunden, stattdessen zeigte sich seine Zunge geschätzt 100 Höhenmeter höher, am Ende des Hochplateaus. Um auf den höchsten Berg Vorarlbergs, den Piz Buin, zu steigen, schnallten wir uns die Steigeisen nun deutlich weiter oben an. Wo früher Eis den Fels bedeckte, zeigte sich dieser nun glattgeschliffen und unsere Bergschuhe fanden auf den meterhohen Terrassenstufen guten Halt. Auf dem Rückweg zeigte uns unser Bergführer die farbigen Markierungen auf großen Felsblöcken. 2015, 2016, 2017 und so weiter. Die Abstände zwischen den Jahren betrugen etliche Meter und wurden zunehmend größer. Es war kaum zu fassen – auch oder gerade, weil man direkt an Ort und Stelle stand.
Im Frühling dieses Jahres berichtete der ORF, dass die Gletscher in Österreich im vergangenen Jahr so stark geschrumpft sind wie noch nie in der 132-jährigen Messgeschichte des Österreichischen Alpenvereins: fast 30 Meter in einem Jahr waren es im Durchschnitt der 89 Gletscher. Davor waren es nur elf Meter gewesen. Elf. Anstatt dreißig. Ein Unterschied. In Vorarlberg verzeichnete der Ochsentaler Gletscher einen Rückgang von 42,8 Meter. In der Venedigergruppe der Hohen Tauern waren es gar 89,5 Meter, die der Schlatenkees an Länge verlor. Die durch den Großglockner bekannte Pasterze verlor allein im Bereich der Gletscherzunge ein Volumen von fast 15 Millionen Kubikmeter Eis, was einem Würfel mit einer Kantenlänge von 245 m (der Höhe des Donauturms in Wien) entspricht.
Die roten Markierungen auf dem Fels im Vordergrund zeigen an, bis wohin der Gletscher 2015 reichte.
Es steht außer Frage, dass die österreichischen Alpen so gut wie eisfrei werden. Die Frage des Zeithorizonts ist weniger belangreich, denke ich mir. Obwohl: 30 oder 50 Jahre Zeit, um sich „anzupassen“, an veränderte Abflussraten, steigende Hochwassergefahr, unzuverlässige Wasserversorgung, Felsstürze, etc. Wir würden wohl die 50 Jahre nehmen, wenn wir es uns aussuchen könnten.
Wer noch die Chance, dem lege ich ans Herz, sich auf den Weg zu machen. Hoch zu gehen vom höchsten Punkt, den man mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann, und hin zu gehen. Hin zu sehen. Solange sie noch da sind.
An dieser Stelle möchte ich gerne noch auf den Beitrag von Wander- und Naturführer Sebastian Manhart verweisen, der durch Fotos des Ochsentaler Gletschers von 2011 bis 2023 eindrücklich den Rückgang des Gletschers zeigt.
Quellen:
ORF-Bericht März 2023: Gletscher schmelzen immer schneller (abgerufen am 17.08.2023)
DAV-Magazin-Artikel Oktober 2016: Gletscherrückgang und tauender Permafrost (abgerufen am 17.08.2023)
ORF-Bericht August 2021: Ochsentaler Gletscher in wenigen Dekaden Geschichte? (abgerufen am 17.08.2023)
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Pawel
17. August 2023 @ 22:40
Very sad to see them melting away 🙁
Martin Netzer
18. August 2023 @ 16:15
Das “Gletschersterben” – vielleich etwas theatralisch ausgedrückt – scheint nicht mehr aufzuhalten sein.
Trotzdem sollten wir uns bemühen, so nachhaltig und ressourcenschonend wie möglich zu leben.
Dort wo sich die Gletscher zurückziehen bzw. wortwörtlich “auflösen”, entsteht jedoch auch NEUES.
Leider ist es mir hier nicht möglich Bilder einfügen, die zeigen, wie Pionierpflanzen – schöner kann es wohl kein/e Landschaftsplaner:in komponieren – sich in kürzester Zeit ansiedeln oder auch Lärchen im Ochsental heranwachsen.
https://ccca.ac.at/wissenstransfer/klimastatusbericht/klimastatusbericht-2022
https://ccca.ac.at/fileadmin/00_DokumenteHauptmenue/02_Klimawissen/Klimastatusbericht/KSB_2022/KBS_2022_BF/Klimarueckblick_V_2022_BF.pdf
https://vorarlberg.at/-/was-sie-schon-immer-ueber-das-klima-von-vorarlberg-wissen-wollten
Ochsentaler Gletscher 2011 - 2023 - ELSE
4. September 2023 @ 22:36
[…] durch einen Post auf klimaplanet.com („Das Ende der Majestäten“) ist die Idee entstanden, mit den Bildern, die ich seit 12 […]
Christina den Hond-Vaccaro
13. September 2023 @ 04:08
Danke, Sebastian, für deinen Beitrag auf https://www.manhart.or.at/2023/09/04/ochsentaler-gletscher-2011-2023/