Der eine gute Grund, den wir brauchen
In den letzten Jahren hatten nicht nur Klimaextreme Hochkonjunktur, sondern auch die Ausreden gegen Klimaschutz: Argumente, warum es im eigenen Land, im eigenen Unternehmen, oder im eigenen Lebensbereich eben nicht geht. Wieso kommen wir von den Ausreden nicht los? Ursache sind zwei psychologische Effekte, erklärt Experte Thomas Brudermann.
Eines vorweg: Ausgesprochene Umwelthasser sind eine äußerst seltene Spezies. Im Grunde genommen wünschen sich fast alle Menschen gute Luft, intakte Wälder, saubere Flüsse und funktionierende Ökosysteme inmitten eines stabilen Klimas. Mutwillig im Wald Altöl zu verschütten und noch ein paar Batterien hinterherzuwerfen, das machen nur die wenigsten.
Auch ein Kippen des Weltklimas mit all seinen katastrophalen Folgen steht wohl nicht auf dem Wunschzettel der Durchschnittseuropäer. Es gibt zwar Menschen, die die Erderhitzung und ihre Folgen für eine Übertreibung oder gar für begrüßenswert halten, das hat jedoch eher mit Missverständnissen zu tun als mit Böswilligkeit. Die zentrale Lebensgrundlage für unsere Zivilisation zu gefährden – das hält so gut wie niemand für eine gute Idee.
Klimafreundliche Entscheidungen und ambitionierter Klimaschutz bedrohen aber den liebgewonnen Status-Quo und das Ausreden-Buffet ist reich und verlockend. Steht eine gefühlte Einschränkung oder eine aufwendige Verhaltensänderung im Raum, dann sind sehr schnell die Ausreden zur Hand: „Ich bin ja ohnehin schon recht klimafreundlich!” Oder: „Wir in Österreich machen doch schon so viel!“ Oder auch: „Die anderen! Die sind noch viel schlimmer.“
Der verzerrte Spiegel
Zum Tragen kommt hier ein verbreiteter psychologischer Effekt. In der Fachliteratur trägt er die Bezeichnung „self-serving bias“ – im Deutschen etwa „selbstwertdienliche Wahrnehmungsverzerrung“. Das heißt: Sehen wir uns selbst im Spiegel, dann sehen wir in der Regel einen guten, liebenswerten und sympathischen Menschen, fleißig, intelligent und ehrlich. Daran ändert sich wenig, sollte uns doch hin und wieder eine kleine Dummheit passieren, etwa wenn wir unser Smartphone in der Waschmaschine ruinieren. Oder wenn wir zu einer Notlüge greifen, etwa wenn man ein Meeting verpasst, weil der Zug unerwartet pünktlich abfuhr.
Selbst notorisches Lügen stört das Selbstbild als grundsätzlich ehrlichen Menschen nicht zwangsläufig – sofern man gute Gründe für die Notwendigkeit des mühsam aufgebauten Lügenkonstrukts finden kann. Das positive Selbstbild gehört zur menschlichen Grundausstattung. Ausreden helfen uns dabei, es gegen innere und äußere Störfaktoren zu verteidigen.
Mit der positiven Selbstwahrnehmung einher geht auch das Gefühl, man wäre ohnehin bereits relativ klimafreundlich. Alltagsentscheidungen wie Fernreisen, brasilianische Steaks oder überdimensionierte SUVs tun dem nicht zwangsläufig Abbruch – denn schließlich spart man ohnehin Strom durch das Vermeiden von Stand-By bei Elektrogeräten und verwendet kaum mehr Einwegplastiktüten. Gut, die wurden auch per EU-Richtlinie zurückgedrängt, aber auch davor hat man gefühlt ja nur in Ausnahmefällen dazu gegriffen.

Das Reflektieren der eigenen Alltagspraktiken und Lebensstile bedeutet kognitiven Aufwand, den Menschen naturgemäß gerne scheuen. Das Erkennen der eigenen Klimasünden kann außerdem schmerzhaft sein. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit stattdessen mit Ausreden und Rechtfertigungen zu überbrücken, kostet hingegen wenig Energie. Ausreden helfen uns also dabei, sowohl positives Selbstbild als auch liebgewonnene klimaschädliche Praktiken nicht hinterfragen zu müssen.
Mit der Lizenz zum Emittieren
Wenn das Stromsparen im Haushalt oder der Griff zum regionalen Bio-Rindfleisch als Rechtfertigung für den Kurzstreckenflug herhält, dann hat das mit einem psychologischen Mechanismus zu tun, der als „moralisches Lizensieren“ bezeichnet wird: Gute Taten rechtfertigen die weniger guten. Erleichtert wird das dadurch, dass Umweltkampagnen und politische Maßnahmen in den letzten zwei Jahrzehnten Bereiche mit relativ geringer Klimawirkung (etwa Mülltrennen, Stromsparen) in den Vordergrund rückten. Die CO2-intensiven, aber auch schwierigeren Bereiche Mobilität und Ernährung wurden vernachlässigt und waren dadurch weniger präsent.

In der Allgemeinbevölkerung bestehen zudem teils eklatante Wissenslücken beim Thema Umwelt und Klima. So halten laut repräsentativer Studien etwa 60 Prozent das Ozonloch für die Hauptursache des Treibhauseffekts, und weniger als jede(r) fünfte weiß, dass Wasserdampf ein Treibhausgas ist.
Dieses fehlende Basiswissen wiegt nicht so schlimm wie die Fehleinschätzung verschiedener Handlungsoptionen: Plastikverzicht, Strom- und Wassersparen im Haushalt sowie regionale Ernährung machen zwar für Umwelt- und Kilmaschutz Sinn, werden aber bezüglich Wirksamkeit massiv überschätzt. Weit sinnvollere Maßnahmen wie Wärmedämmung, pflanzenbasierte Ernährung oder die Reduktion des Flugverkehrs werden hingegen massiv unterschätzt.
Das hat auch damit zu tun, dass Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan nicht direkt wahrnehmbar sind. Wir sehen nicht, wie viele Treibhausgase bei einer bestimmten Entscheidung wie dem Urlaubsflug anfallen. Die intuitive Einordnung fällt uns daher schwer. Auch Kenngrößen wie „eine Tonne CO2-Äquivalent “ sind schwer fassbar.
Besser vorstellbar werden Emissionen erst, wenn man ihnen etwas Greifbares gegenüberstellt, zum Beispiel das Wachstum von Bäumen, bei dem bekanntlich CO2 gebunden wird. Um eine Tonne CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen, braucht man 80 mittelgroße Buchen, die ein Jahr lang wachsen. Zum Vergleich: Der Urlaubsflug nach Portugal (und retour) hat pro Passagierin die Klimawirkung von ebenfalls einer Tonne CO2. Für die Flugreise nach Bali fallen schon 10 Tonnen CO2-Äquivalente pro Nase an. Also pro Person 800 Buchen, die ein Jahr lang wachsen müssten.
Für die gleiche Menge könnte man alle Leuchten im Eigenheim mehrere Jahrzehnte (mit sauberem Strommix sogar Jahrhunderte) eingeschaltet lassen. Oder bis zum Lebensende täglich mehrere Plastiktüten verbrauchen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das bedeutet im Gegenzug selbstverständlich nicht, dass ein sorgsamer Umgang mit Energie und Ressourcen unwichtig wäre. Problematisch sind diese Dinge nur, wenn sie als Ausrede für Nichthandeln in den noch wichtigeren Bereichen herangezogen werden. Das ist dann vergleichbar mit dem Relativieren des massiven Schnapskonsums durch etwas weniger Bierkonsum.
Eine simple Lösung
Klimaschädliche Verhaltensmuster sind in kollektiv gelebte Praktiken eingebettet. Nicht selten gehört die klimaschädliche Flugreise auch für umweltfreundlich eingestellte Menschen zur schwer verzichtbaren Normalität. Aber: 80 Prozent der Weltbevölkerung haben noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Auch in Ländern wie Deutschland und Österreich ist ein Drittel der Menschen noch nie geflogen, und nur eine relativ kleine Minderheit von 15 Prozent fliegt überhaupt öfters als ein Mal pro Jahr.
All diese Dinge zeigt uns der verzerrte Spiegel der Selbstwahrnehmung freilich nicht. Wir Menschen wollen uns in unserem Handeln gut fühlen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen kleinen Klimasünden kann hingegen schmerzen. Ob eine solche Auseinandersetzung auch zur Verhaltensänderung führt, hängt letztendlich stark von den Rahmenbedingungen ab: Schließlich ist die klimaschädliche Option häufig die billigere, schnellere, bequemere.
Die relativ einfache Lösung aus Sicht des Psychologen: In einer klimafreundlichen Zukunft benötigt es Entscheidungssituationen und Strukturen, in denen Klimafreundlichkeit leichtfällt, und das Suchen nach Ausreden schwerer wird. An solchen Strukturen gilt es auf allen Ebenen zu arbeiten.
Und was ist dann mit den Ausreden? In Wirklichkeit brauchen wir Ausreden nur dann, wenn wir etwas nicht wollen. Wenn wir etwas wollen, brauchen wir einen guten Grund. Wir können bei der Frage des Klimaschutzes alle Ausreden vergessen. Denken Sie an Ihre wichtigen Lebensentscheidungen. Da haben Sie viele Für und Wider abgewogen und am Ende war es sehr oft ein guter Grund, der den Ausschlag gegeben hat. Um uns für den Klimaschutz zu engagieren, brauchen wir nur einen guten Grund.
Welchen haben Sie?

Zur Person:
Thomas Brudermann ist Psychologe und Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Graz. Neben seinem humorvollen Sachbuch „Die Kunst der Ausrede“ verfasste er als Autor und Co-Autor über 40 Beiträge in internationalen Fachzeitschriften und Büchern. Er gilt als Experte für menschliches Entscheidungsverhalten und kennt die inneren und äußeren Widersprüche im Umgang mit zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen. Er ist Mitglied des Grazer Klimabeirats, Gastautor bei den Magazinen Focus und Tag Eins, Delegierter der Psychologists4Future und betreibt die Webseite klimapsychologie.com. Gemeinsam mit Illustratorin Annechien Hoeben wurde er für seine Arbeit 2023 mit dem Eunice Foote Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet.
Foto: © Uni Graz/Tzivanopoulos
Welchen Grund hast du, um dich für die manchmal unbequemen Verhaltensweisen zu entscheiden anstatt dich einer bequemen Ausreden zu bedienen?
Schreibe einen Kommentar