7 Ein extravaganter Vogel-Punk
Besuch eines Langstreckenfliegers im Stadtgarten
„Schatz, schau, schau, der Vogel!“, rief ich, so leise man rufen kann, aufgeregt zu meinem Mann. Der war in der Küche fleißig, mit Kopfhörern im Ohr, und kam nicht. Ich saß im Schlafzimmersessel, den wir gerade noch so ins Eck vors Bücherregal hatten stellen können; es war Sonntag, der Tag neigte sich in den Abend hinein und ich war am Notebook beschäftigt gewesen, als ich ihn aus den Augenwinkeln durchs Schlafzimmerfenster wahrgenommen hatte.
Ich holte mein Handy hervor und versuchte ihn noch auf einem Foto zu erwischen, doch er hüpfte schon weiter über den Rasen, aus meinem Blickfeld. Es gelang mir aber noch, ihn links im Bildrand recht klein festzuhalten.
Ich sprang auf und lief in die Küche, tippte energisch an Sven’s Schulter, da er mich immer noch weder gehört noch gesehen hatte. Er nahm die Kopfhörer runter. „Der Vogel! Du musst ihn anschauen“, entgegnete ich ihm sofort und zog ihn schon mit mir mit.
Wenige Stunden vorher hatte mir Sven gesagt, er habe einen besonderen Vogel im Garten gesehen, den er noch nie zuvor erblickt hatte. Sven beschrieb seine Schwanzfedern als V-förmig schwarz-weiß gestreift. Wir googelten gleich nach den häufigsten Vogelarten Mitteleuropas. Darunter war der Buntspecht, der überwiegend schwarz-weiß gestreift ist. „Das war er“, hatte Sven sogleich gemeint. „Schön“, hatte ich daraufhin erwidert. Da wir mitten in der Stadt wohnten und der Garten erst ein Jahr alt und also noch nicht recht mit üppigen Sträuchern ausgestattet war, erfreuten wir uns über den Spechtbesuch.
Doch dieser Vogel, den ich da gerade entdeckt hatte, spielte in einer anderen Liga. Es war ein Wiedehopf. Der Naturschutzbund (NABU) aus Deutschland beschrieb den Wiedehopf (Upupa epops) sehr treffend: „Der auffällige Wiedehopf ist unverwechselbar. Mit seinem langen Schnabel und den orangen Scheitelfedern mit den schwarzen Punkten, die er bei Erregung aufrichtet, ist er ein echter Hingucker. Er liebt warme Regionen, weshalb er nur in bestimmten Regionen in Deutschland, wie zum Beispiel dem Kaiserstuhl in Baden-Württemberg, vorkommt. Als Zugvogel verbringt er den Winter in Afrika. Sein wissenschaftlicher Gattungsname ‚Upupa‘ ist eine Nachahmung des Klangs seines dreisilbigen ‚upupup‘-Balzrufes.“
Ein prächtiger, exotisch anmutender Zugvogel, der südlich der Sahara überwinterte. Hier in unserem Garten. Stadtgarten. Auf den 60 m², die wir seit seiner Neuanlage vor einem Jahr versuchten, möglichst divers und naturnah zu gestalten. Trotz schlechter Erde und Schattenlage. Und hier war er, der Wiedehopf. Der gut amselgroße Vogel (rund 28 cm) frisst mit Vorliebe Insekten, liebt artenreiche Wiesen und höhlenreiche Altbäume und gilt in Deutschland und Österreich als gefährdet. Der Erhalt von Streuobstwiesen unterstützt die Erhaltung des Wiedehopfs in unseren Breiten.
Ich war noch den ganzen Abend aufgeregt über die Entdeckung. Am folgenden Morgen hatte ich ihn kurzfristig schon wieder vergessen, da ich in die Arbeit vertieft war. Als ich dann im Laufe des Vormittags nochmals gut die Wohnung durchlüften wollte und unbedacht zum Fenster – das gleichzeitig eine Tür nach draußen in den Garten war – trat und es öffnete, schreckte der Wiedehopf, der da nur einen Meter von mir entfernt in der Wiese saß, laut rufend hoch und machte sich auf und davon. Oh nein, dachte ich, diesem enttäuscht und über mich selbst verärgert hinterher blickend. So ein Mist.
Doch dem Wiedehopf schien jener Bereich unseres Gartens, in dem Sven das Moos und ungewollt auch einiges an Gras aus dem Rasen etwas herausgeholt hatte und der nun relativ erdig dalag und darauf wartete, wieder dichter zu werden, zu gefallen. Denn der Vogel kam nur zehn Minuten später wieder zurück. Wieder ganz aufgeregt, versuchte ich ihn diesmal mit der guten Kamera fotografisch festzuhalten. Es gelangen mir auch ein paar Bilder, aber dann entdeckte er mich wiederum durch die Glasscheibe – ziemlich misstrauisch dreinblickend machte er sich erneut auf und davon.
Jetzt muss ich ihn in Ruhe lassen, dachte ich mir, und besann mich, sollte der Wiedehopf wiederkommen, keine Annäherungsversuche mit der Kamera mehr zu unternehmen. Sicher würde er nicht mehr wiederkommen, wenn ich ihn noch ein drittes Mal aufschreckte. Fortuna war jedenfalls auf meiner Seite – er kam wieder, wiederum nur nach etwa zehn Minuten. Aus sicherer Entfernung beobachtete ich ihn. Der Wiedehopf blieb stundenlang und pickte und stocherte mit seinem schönen, langen, zarten Schnabel eifrig im halboffenen Gras. Sicherlich fand er dort allerlei kleine Insekten oder auch Schneckeneier und dergleichen. Er marschierte auf und ab und kam sehr nah an die Hauswand. Ich erfreute mich den ganzen Vormittag lang an seinem Anblick. Wie privilegiert war ich, da im Homeoffice sitzend: Alles, was ich tun musste, war mich am Schreibtisch leicht nach links zu lehnen und über den Esstisch hinweg durch das Badtürfenster nach draußen zu blicken und mich an seinem sandig-orangen Gefieder mit den schwarz-weißen Flügeln und seiner prominenten irokesenartigen Frisur zu erfreuen.
Ich kontaktierte die lokale „Natur-Fachstelle“ und meldete meine Beobachtung. Die zuständige Person teilte meine Freude, informierte mich darüber hinaus, dass Wiedehopfe in unserer Region eher nur Durchzügler waren und nicht bekannt war, dass sie hier brüteten. Und tatsächlich: Als ich abends von einem Treffen wieder nach Hause kam und fast selbstverständlich erwartete, den Vogel wieder an jener Stelle im Garten vorzufinden, wurde ich enttäuscht. Auch am nächsten Tag wurde er nicht mehr gesehen.
Er war weitergezogen.
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