Fängst Du bei Dir an?
Es wird keine politische Lösung geben
Es ist ein Vorteil – mit rund 30 Jahren – in der Mitte der Generationen zu sein. Als späte Tochter einer Frau des Jahrgangs 1953 kenne ich zum einen die Geschichten der Nachkriegszeit (und bekam einige der damaligen Prinzipien selbst mit eingelöffelt), zum anderen wurde ich schon in einer Zeit groß, in der es immer mehr zum Trend wurde, alles zu haben.
Und ja wirklich, was haben wir heute nicht alles – halt alles Erdenkliche (ich spare mir eine Auflistung), im allerneuesten Zustand (wer will schon etwas Gebrauchtes) und in provokanter Kurzlebigkeit (alt ist schäbig, Qualität ein irrelevantes Kaufentscheidungskriterium). Sind wir jetzt glücklicher damit? Insbesondere der Blick auf die junge Generation (U20) lässt mich das fragen. Ich denke an die Berge von Weihnachts-, Geburtstags- und Ostergeschenken, die so riesig geworden sind, dass Volksschulkinder dahinter verschwinden. Aber lassen wir den Kindern ihre Geschenke. Schauen wir in meine Generation (U40): Sind wir heute glücklicher? Jetzt, wo wir alles haben, was sich ein Mensch auf Erden an Materiellem wünschen kann? Das ist, nur zur Klarstellung, eine rhetorische Frage.
Kürzlich durfte ich den deutschen Wachstumskritiker Niko Paech für die Straßenzeitung „marie“ interviewen. Er brachte es gut auf den Punkt, „[…] das Leben zu entrümpeln und den ganzen Wohlstandsschrott auszumustern, der nur Geld frisst, Ökosphäre zerstört und unsere Lebensqualität ohnehin nicht steigert, weil wir reizüberflutet und überfordert damit sind, alles auszuschöpfen, was wir kaufen können.“ Hintergrund dieser Genügsamkeit ist die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen. Man könnte meinen, als intelligente Spezies Homo sapiens sei dies auch unser oberstes Prinzip, nach dem wir uns und unsere Lebensweise ausrichten.
Einige von uns haben lange genug zugesehen, um zu wissen, dass wir als Kollektiv dazu nicht in der Lage sind. Ich möchte hier aber vehement innehalten, denn zu gerne wird jede individuelle Verantwortung auf die Politik, die Wirtschaft oder die Technik abgewälzt. Leider kann ich nicht ausholen, denn dies würde den Rahmen dieses Kommentars sprengen, aber: Es wird keine politische Lösung für den Klima- und Naturschutz geben. Für die notwendigen wirksamen Klima- und Biodiversitätsschutzmaßnahmen (anstelle der heuchlerischen Scheinmaßnahmen, die wir als Gewissensberuhigung eingeflößt bekommen) lässt sich keine Mehrheit finden. Es wird auch keine rein technische Lösung geben. Ökologische Defizite lassen sich nicht einfach technisch lösen, wenn man alle Systemkomponenten mitberücksichtigt. Zuallererst muss die Industrieproduktion mit der dahinter hängenden Wirtschaft kleiner werden, erst dann können wir über die erneuerbaren Energien sprechen. Doch bei gleichbleibendem Konsumismus mit entsprechender Wirtschaft ist jegliche Suggestion, wir könnten bei gleichem Luxus nur in „Grün“ weiterleben, absoluter Schwachsinn. Wahnsinn.
Damit die Wirtschaft kleiner wird, muss ich als Einzelperson nicht darauf warten, dass dies staatlich reguliert wird. Ich entscheide mehrfach tagtäglich mit, wie groß oder klein die Wirtschaft ist, bleibt oder werden wird. Es gibt keine Ausreden mehr. Ja, ich bin nur eine Person, aber acht Milliarden Mal eine Person ergibt eben acht Milliarden Mal wirtschaftlich relevante Kaufentscheidungen, acht Milliarden Mal eine Lebensführungsentscheidung. Hören wir auf, uns selbst anzulügen. Hören wir auf, zuerst mit dem Finger auf andere zu zeigen. Fangen wir bei uns an. Finden wir zur Qualität, zur konsumbefreiten Schlichtheit. Weniger ist mehr. Small is beautiful. Global denken, lokal handeln. Wir kennen diese Mottos. Sie sind nicht neu, nicht modern, doch nicht jede gesellschaftliche Veränderung oder technische Errungenschaft ist per se fortschrittlich. Die Vernichtung der eigenen Lebensgrundlagen ist kein Fortschritt, sondern eine absolute Dummheit.
Fangen wir bei uns an. Finden wir zurück zu einer materiellen Genügsamkeit und zu immateriellem Reichtum. Fangen wir bei uns an – fängst Du bei Dir an? – ich glaube, Du wirst besser schlafen und lieber in den Spiegel schauen.
Dieser Kommentar entstand auf Einladung der Grünen – Generation plus Vorarlberg und erschien in der 50 Aufwärts Ausgabe I / 2023.