6 Vom Reden zum Leben
Der Unterschied vom Wissen und Tun
Die Gespräche häuften sich. Anfragen verschiedenster Art nahmen zu – das Thema war jetzt in aller Munde. Weltweit. Global gesehen war es wohl erstmalig in der Menschheitsgeschichte der Fall, dass sich (beinahe) alle Nationen darin einig waren, der Zerstörung des Planeten Einhalt zu gebieten. Die Einigkeit ging von breiten Bevölkerungsgruppen bis hinauf zu den politischen Entscheidungsträgern. Theoretisch.
Praktisch war die Welt eine andere. Praktisch veränderte sich kaum etwas. Denn in der Realität wollte niemand ent-wachsen. Keine Nation wollte ihre Wirtschaft kleiner werden sehen oder gar dahin begleiten. „Grünes Wachstum“ hieß die neue, moralisch zugelassene Devise. Mehr Photovoltaikanlagen, mehr Windräder, mehr Elektroautos. „Präsentation von Nachhaltigkeitsattrappen“ nannte das der Wachstumskritiker Niko Paech einmal in einem Interview mir gegenüber. Und das Gefährliche dabei: Die Gewissensberuhigung funktioniert. Anstatt mit einem schlechten Gewissen Auto zu fahren, fährt man jetzt mit einem guten Gewissen Elektroauto.
Zweifel überkamen mich wieder. Vom Organisieren von „Bildungsveranstaltungen“ zu grünen Themen war ich übergegangen zum Schreiben oder Vortragen über Klimaschutzthemen. Aber half das eher? Half überhaupt irgendetwas? Oder war ich auch in dieselbe Falle getreten – sich für den Klimaschutz zu engagieren und deshalb zu glauben, aktiv dazu beizutragen, etwas zur Erhaltung der Lebensfähigkeit der Erde tun zu können?
In einem Gespräch mit einer Freundin, in der ich ihr diese Zweifel darlegte, meinte sie, dass wer mich kenne, wisse, ich würde „es“ vorleben. Mit „es“ meinte sie wohl das maßvolle Leben. Und es stimmte schon. Meine letzte Flugreise – zur Forschungsstation in Bolivien, bei der ich für meine Masterarbeit Kakao-Agroforstsysteme untersuchte – war bald 10 Jahre her; ich hatte noch nie ein Auto besessen, ich ernährte mich seit 13 Jahren vegetarisch, reparierte Kleidung, kaufte wenig ein, usw. Die „Gewissensberuhigung“ bestand für mich wohl eher darin, mir zu erhoffen, über mein eigenes Leben hinaus Menschen erreichen zu können.
In einem anderen Gespräch mit einem kritischen Freund von mir, dessen unverblümte, sachliche Betrachtung der Welt ich sehr schätzte, meinte dieser – wir sprachen über eine Reihe von Klimagesprächen, die ein Klimaschutzverein jetzt neu organisierte –, dass diese Diskussionsabende zwar sicherlich total interessant seien, aber eben nichts bewirkten und wohl auch einfach zur Unterhaltung der Teilnehmenden diente.
Und wahrlich, wie oft hatte ich mir diese Frage gestellt; auch bei Veranstaltungen, die ich selbst organisiert hatte. Wer von den Besuchern würde tatsächlich etwas von diesem Abend mitnehmen, das er zuhause veränderte? Wussten wir nicht alle, wie schwierig es war, Gewohnheiten zu durchbrechen? Würde auch nur irgendein Mensch aufgrund unserer Bemühungen ein Kilogramm CO2 weniger ausstoßen?
Doch ich wusste auch, dass dies der einzige freiwillige Weg war: Der Weg von der Erkenntnis zur Veränderung. Vom Wissen zum Handeln, ganz gleich, wie viele Schritte, wie viele Gräben da dazwischen lagen. Ohne die Erkenntnis und das Verstehen würde nie eine Brücke geschlagen werden zum eigenen Alltag, zu eigenen Kaufentscheidungen und Verhaltensweisen. Es war ein beschwerlicher Weg, aber es war der einzige, mir bekannte, damit sich ein Mensch freien Willens veränderte.
Das war meine Antwort, und an dieser versuchte ich mich festzuhalten.
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