15 Frühmorgens am See
Frühmorgens am See
Es dämmerte, als ich in Bregenz am Bahnhof Hafen eintraf. Die Welt schlief noch und das war gut so. Auf diese Weise konnte jemand wie ich in Ruhe ein paar Schritte am Seeufer spazieren. Außer mir hatten zu dieser frühen Stunde nur vereinzelt Menschen diesen Ort aufgesucht: ein Angler, der seine Rute neben sich in den Uferkies gesteckt hatte, eine ältere Dame, die auf einer Bank saß und aufs Wasser hinausschaute.
Unweigerlich musste ich an einen lange vergessenen Italienurlaub zurückdenken, den Kontrast zwischen dem weniger touristischen Padenghe am Gardasee und Bellaria bei Rimini. Trotz Nebensaison waren wir doch mit (den Resten) einer Vielzahl „moderner“ Lebensformen konfrontiert: Geschäfte voller Ramsch aus billigster, qualitätsarmer Kleidung, nutzlosesten Spiel-, Deko- und Accessoiredingen, überwiegend aus ebenfalls billigstem, qualitätsarmem Plastik; Restaurants, die etwa einen grünen Salat mit je einem Plastikpäckchen von Balsamico und Olivenöl servierten (das Salz war in beschichteten Papiertütchen abgepackt), Unterkünfte, die anstelle von Gläsern Plastikbecher ans Frühstücksbuffet stellen und Menschen, die unübersehbar kein Problem damit hatten. Um diesen Urlaub dennoch genießen zu können, hatte ich mich damals in ein Buch vergraben, das von einer erfolgreichen spanischen Architektin handelte, die nach dem Tod ihrer Großmutter, die sie aufgezogen hatte, auf der Suche nach ihren italienischen Wurzeln in einem kleinen italienischen Dorf ihre Lebensart fand. Der Klimaschutz hatte bei ihrer Entscheidung für ein Dorfleben mit persönlicheren alltäglichen Begegnungen, einer größeren Wertschätzung und Wichtigkeit regionaler Lebensmittel, frischer Zubereitung und der Verwendung von Wildkräutern dabei keine Rolle gespielt. Die Frau hatte schlicht und ergreifend mit Mitte 30 gespürt, dass ihre Karriere und das Stadtleben sie nicht glücklich machten.
Mit diesen Gedanken spazierte ich das Seeufer entlang, dankbar für die Ruhe. Dem Beispiel der älteren Dame folgend setzte ich mich auf eine Bank, unweit von ihr entfernt, und genoss den friedvollen Moment.
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