Wir haben es nicht versemmelt
Der Weltklimarat warnt – und gibt Grund zur Hoffnung
Vor kurzem schickte mir ein Freund einen Link zum angekündigten Bericht des Weltklimarats mit dem Kommentar „Wir haben es versemmelt!“. Nachvollziehbar – stand doch bereits in dieser Ankündigung, dass das Fenster für Maßnahmen zur Eindämmung der Erderhitzung klein ist und sich schnell schließt.
Der Gedanke, es ist sowieso schon alles egal oder zu spät, ist mir nicht neu. Er hat mich auch schon besucht, verzweifeln lassen, seltener aber vergessen lassen und mich eingeladen, nun erst recht auf Klimaschutz zu pfeifen. Das könnte man als stur, dumm, naiv bezeichnen. Wer jetzt aber nun tatsächlich einmal etwa den 36-seitigen Synthesebericht lesen würde, der könnte hier informiert(er) mitreden.
Eins vorweg: Am sechsten Bericht vom IPCC (siehe Infobox unten) arbeiteten über 200 Wissenschaftler:innen, die für den Teil der physikalischen Grundlage des Klimawandels über 14.000 wissenschaftliche Studien heranzogen. Ich weiß, in Zeiten von Social Media und Fake News bleiben viele Menschen davon unbeeindruckt. Ich möchte aber zu bedenken geben: Wissenschaft ist nicht unfehlbar, aber sie ist die beste Annäherung an die Realität, die wir haben. Und um Längen besser – weil eben auf mehreren Ebenen nach dem Mehr-Augen-Prinzip geprüft und kontrolliert.
In seriösen wissenschaftlichen Berichten wird stets ein Vertrauensintervall einer Aussage angegeben, das erlaubt, deren Aussagekraft einzuordnen. Beispiel aus dem 6. IPCC-Bericht: „Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten (sehr hohes Vertrauen). Es gibt ein sich schnell schließendes Zeitfenster, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern (sehr hohes Vertrauen).“[i] Das „sehr hohe Vertrauen“ steht für eine Wahrscheinlichkeit von mindestens 90%.
Nun, die oben genannte Aussage kennen wir alle. Weniger diskutiert wird diese hier [Anm.: Aus dem Englischen übersetzt.]: „Eine tiefgreifende, schnelle und nachhaltige Verringerung der Treibhausgasemissionen würde zu einer spürbaren Verlangsamung der globalen Erwärmung innerhalb von etwa zwei Jahrzehnten und auch zu erkennbaren Veränderungen der atmosphärischen Zusammensetzung innerhalb von einigen Jahren (hohes Vertrauen) führen.“[ii] Das „hohe Vertrauen“ entspricht einer Wahrscheinlichkeit von 80%.
Die Chance ist da
Es ist eben nicht zu spät. Es sind eben doch wieder nur Ausreden – Faulheit, Bequemlichkeit, Ignoranz – und Selbstsucht, die manche Menschen immer noch selbstbewusst ein Leben mit geschlossenen Augen führen lassen. Klar, wer bin ich als Einzelperson und was kann ich ausrichten? Doch wer diese Frage wirklich zu Ende denken, wirklich zu beantworten versucht, der kommt nicht umhin, zu erkennen, dass nun einmal jede und jeder einzelne von uns zählt (lesen Sie dazu auch gerne den Kommentar: Genug von Ausreden).
Wie oft denke ich mir, wenn ich im strömenden Regen zur Bushaltestelle laufe, es wäre jetzt schon viel angenehmer im Auto zu sitzen? Auf der anderen Seite: Lebe ich dafür, möglichst immer nur Angenehmes zu erleben? Funktioniert Leben so? Sicher nicht (und was dabei rauskommt, wenn man in Watte gebauscht und im Luxus eingeschläfert lebt, sehen wir ja zur Genüge). Auch darum laufe ich bei strömendem Regen zur Bushaltestelle. Nehme ich den Zug nach Glasgow, Schottland, und nicht das Flugzeug. Es geht. Es bereichert und schult. Und es macht einen Unterschied. Denn: „Die in diesem Jahrzehnt getroffenen Entscheidungen und durchgeführten Maßnahmen werden sich jetzt und in den nächsten Jahrtausenden auswirken (hohes Vertrauen).“[iii]
An alle mit und ohne eigene Kinder: Denken wir einmal nicht nur an uns selbst. Denken wir ein bisschen weiter. Es gibt Hoffnung – tragen wir zu ihr bei.
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – egal, wie es ausgeht.
Václav Havel
Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, kurz IPCC) wurde 1988 von der UNO-Umweltorganisation (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet. Seine Aufgabe ist es, die Politik neutral über die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimaveränderung und über mögliche Gegenmaßnahmen zu informieren. Dem IPCC gehören 195 Staaten an.
Link:
6. Synthesebericht des IPCC (März 2023): Synthesis Report of the Sixth Assessment Report (AR6)
Erklärung zu den Vertrauensniveaus: https://archive.ipcc.ch/publications_and_data/ar4/wg1/en/ch1s1-6.html
[i] IPCC Synthesis Report (AR6), S. 25. Aus dem Englischen übersetzt.
[ii] IPCC Synthesis Report (AR6), S. 12. Aus dem Englischen übersetzt.
[iii] IPCC Synthesis Report (AR6), S. 25. Aus dem Englischen übersetzt.