Sind individuelle Entscheidungen wirklich unwichtig? Der Versuch einer Antwort
Sind individuelle Entscheidungen wirklich unwichtig? Der Versuch einer Antwort
The original English text can be found below the German translation.
Eine mir nahestehende Person ist Vegetarier und macht sich Sorgen um das Schicksal unseres Planeten. Er versucht auch, minimalistisch zu leben und keine unnötigen Dinge zu kaufen. Vor ein paar Jahren stieß er auf einer politisch linksorientierten Website auf folgende Botschaft: Nicht wir einzelne Menschen sollten unsere Gewohnheiten ändern und das Schicksal des Planeten auf unseren Schultern tragen. Es liegt in der Verantwortung der Großen dieser Welt und der Konzerne, in dieser Sache Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen zu ergreifen. Unter dem Einfluss dieses Artikels beschloss er, dass er sich nicht mehr anstrengen wollte, und ging los, um vier neue Hosen zu kaufen.
Sind individuelle Entscheidungen wirklich unwichtig? Aus logischer Sicht ändert es praktisch nichts, ob man mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt oder mit dem Auto. Wenn ich einer von Milliarden von Menschen bin, was spielt es dann für eine Rolle, was ich, eine winzige Ameise, tue? Und darüber zu reden, was passieren würde, wenn alle anderen so denken würden, ist nur ein abstraktes Gedankenkonstrukt, das nur einige Leute überzeugt. Meiner Meinung nach gibt es jedoch andere Argumente dafür, dass individuelle Entscheidungen wichtig sind.
Der Lawinen-Effekt. Ein kleiner Anstoß kann einen gigantischen Prozess auslösen. Deine Entscheidungen können andere dazu inspirieren, sich zu ändern. Dieser Effekt ist in einem Video (namens „First Follower: Leadership Lessons from Dancing Guy“ (siehe Link am Ende des Textes) deutlich zu sehen: Eine Person beginnt zu tanzen, eine andere Person schließt sich ihr an. Das ermutigt weitere Menschen, mitzumachen, und bald tanzt eine große Menschenmenge.
Eine andere Sache ist eine Frage der Moral – wenn man etwas für falsch hält, versucht man, es nicht zu tun, unabhängig von den globalen Folgen seiner Handlung. Man stiehlt nicht, auch wenn die Entnahme eines einzigen Produkts aus einem großen Supermarkt wahrscheinlich keinen großen Unterschied macht. Man nimmt an Wahlen teil, auch wenn die eigene Stimme praktisch nichts bedeutet. Es gibt Dinge, die es wert sind, getan zu werden, um den Seelenfrieden zu bewahren und das Gefühl zu haben, im Einklang mit den eigenen Werten zu handeln.
Der Glaube, dass meine Entscheidungen nichts bedeuten, wirkt destruktiv und pro-depressiv. Wenn wir diese Logik ad absurdum führen, ist unser Handeln so klein und unbedeutend, dass es sich gar nicht lohnt, etwas zu tun oder zu leben.
Wir hören oft, dass der Wandel systemisch sein muss, individuelle Entscheidungen werden nicht viel ändern. Aber das ist eine falsche Alternative – individuelle Entscheidungen verhindern keine systemischen Veränderungen. Positive Veränderungen erfordern Maßnahmen an diesen beiden Polen. Selbst der brillanteste systemische Wandel wird scheitern, wenn er auf der individuellen Ebene nicht akzeptiert wird. Außerdem habe ich den Eindruck, dass dies eine Art Abwälzung der Verantwortung ist. Der Einzelne, der kauft, was für ihn bequem ist, wird sagen, dass Veränderungen in der Verantwortung der großen Unternehmen liegen. Große Unternehmen werden sagen, dass die Menschen ihre Produkte kaufen wollen. Ein Teufelskreis.
Um an den vorherigen Punkt anzuknüpfen: Individuelle Entscheidungen, kleine Gruppen, die nach bestimmten Regeln leben, sind oft ein Experimentierfeld für mögliche spätere systemische Veränderungen. Und ein Beweis dafür, dass diese Art zu leben möglich ist. In vielen Ländern (z.B. Polen) wurde das Radfahren zur Arbeit vor einem Dutzend Jahren als extreme Sonderbarkeit empfunden. Heute ist es die Norm, und die Fahrradinfrastruktur in den Städten wird ausgebaut.
Ich höre oft, dass die Menschen individuelle Veränderungen nicht einführen oder aufgeben, weil sie sich psychologisch stark belastet fühlen, für das Schicksal der Welt verantwortlich zu sein. Es ist für sie bequemer, sich einzureden, dass die Verantwortung nur bei den großen Akteuren dieser Welt liegt. Sie wollen nicht die Leidtragenden sein. Viele Veränderungen sind jedoch nur eine Änderung der Gewohnheiten und erfordern keine großen Opfer. Und wenn es Opfer gibt, kann man es wie einen Sport, eine Herausforderung behandeln. Wenn man eine Sportart betreibt, wird man müde und leidet, aber es gibt einem Befriedigung. Auf die gleiche Weise kannst du verschiedene ökologische Veränderungen in deinem Leben angehen.
Individuelle Veränderungen und extreme Verhaltensweisen von Einzelpersonen sind ein Grund für Diskussionen und Debatten über wichtige Themen. Das kann man beobachten, wenn sich ein Veganer und traditionelle Fleischesser an einen Tisch setzen.
Selbst wenn du keine globalen Veränderungen bewirkst, wird dein Verhalten lokal eine viel größere Wirkung haben. Um zwei Beispiele zu nennen: Eine Person kann leicht ein großes Waldgebiet von Müll befreien. Das Ersetzen eines alten Kohleofens durch eine umweltfreundlichere Heizmethode kann die Luftqualität in deiner unmittelbaren Umgebung erheblich beeinflussen.
Last but not least – individuelle Entscheidungen, die der Umwelt zugute kommen, sind eine Gewohnheit. Es ist gut, sie zu haben, wenn man jemals eine einflussreiche Person in einem Unternehmen oder einer Organisation wird. Ich wurde zum Beispiel eingeladen, einen Artikel für diesen wachsenden Blog zu schreiben, und ich kann meine früheren umweltfreundlichen Erfahrungen nutzen 🙂
Zur Person:
Pawel Strzelczyk ist ein polnischer Ingenieur, Reisender, Bergsteiger und Ex-Musiker. Er studierte an der Universität Gdańsk, der Technischen Universität Gdańsk und der Technischen Universität Warschau. Später lebte und arbeitete in unterschiedlichen Ländern Europas, bevor er in seine Heimat zurückkehrte. Dabei lernte er viele Kulturen, Menschen und Denkweisen kennen. Pawel Strzelczyk reiste ohne Flugzeug und ohne die Nutzung von Einwegplastik von Belgien bis in den Süden Korsikas, zu lesen auf Polarsteps.
Links:
Artikel, der besagt, dass die Großen dieser Welt und die Unternehmen dafür verantwortlich sind, Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen in Bezug auf den Klimawandel zu ergreifen: https://krytykapolityczna.pl/serwis-klimatyczny/katastrona-klimatyczna-indywidualizacja-winy/ (zuletzt abgerufen am 13.01.2024)
Video “First Follower: Leadership Lessons from Dancing Guy” https://www.youtube.com/watch?v=fW8amMCVAJQ (zuletzt abgerufen am 13.01.2024)
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Originaltext / original English text:
Are individual choices really not important? An essay to answer
Are individual choices really not important? An essay to answer
A person close to me is a vegetarian concerned about the fate of the planet. He also tried to live minimalistically and not buy unnecessary things. A few years ago, he came across such a message on some left-wing website. It is not us, individual human beings, who should change our habits and carry the fate of the planet on our shoulders. It is up to the greats of this world and corporations to make decisions and take actions in this matter. Under the influence of this article, he decided that he didn’t want to bother anymore and went out to buy 4 pairs of new pants.
Do individual choices really not matter? From a logical point of view, whether you ride a bike to work or a car will change practically nothing. If I am one of billions of people, what does it matter what I, one tiny ant, do? And talking about what would happen if everyone else thought this way is just an abstract thought construct that only convinces some people. However, in my opinion, there are other arguments that individual choices matter.
Avalanche effect. A small impulse can trigger a gigantic process. Your choices can inspire others to change. This effect is clearly visible in a video named “First Follower: Leadership Lessons from Dancing Guy” (the link is provided at the end of the text): One person starts dancing, another person joins him. This encourages more people to join in and soon a large crowd is dancing.
Another thing is a matter of morality – if you think something is wrong, you try not to do it, regardless of the global consequences of your action. You don’t steal, even though taking one product from a large supermarket probably won’t make much of a difference. You vote in elections even though your single vote means practically nothing. Some things are worth doing for peace of mind and a sense of acting in accordance with your own values.
The belief that my choices mean nothing seems destructive and pro-depressive. Taking this logic to absurdity – if our actions are so small and insignificant, it is not worth doing or living at all.
We often hear that change must be systemic, individual choices will not change much. But this is a false alternative – individual choices do nothing to prevent systemic changes. Positive changes need action on these two poles. Even the most brilliant systemic change will fail if it is not accepted at the individual level. Besides, I have the impression that this is a kind of shifting of responsibility. Individuals who buy what is convenient for them will say that changes are the responsibility of large companies. Big companies – that individuals want to buy their products. Vicious circle.
Continuing the previous point – individual choices, small groups living according to specific rules are often an experimental field for possible later systemic changes. And a demonstration that living this way is possible. In many countries (e.g. Poland) riding a bike to work was perceived as an extreme oddity a dozen years ago. Today, it is the norm and cycling infrastructure in cities is being expanded.
I often hear that people do not introduce or give up individual changes because they feel a huge psychological burden, that they are responsible for the fate of the world. It is more convenient for them to convince themselves that the responsibility rests only with the great players of this world. They don’t want to be sufferers. However, many changes are just a change of habits and do not involve any major sacrifices. And if there are sacrifices, it can be treated as a sport, a challenge. When you go to practice some sport, you get tired and suffer, but it gives you satisfaction. You can approach various ecological changes in your life in the same way.
Individual changes and extreme behaviors of individuals are a reason for discussion and debate on important issues. This can be observed when a vegan and traditional meat-eaters meet at one table.
Even if you do not change globally, your behavior will have a much greater visible impact locally. For example, one person can easily clear a large area of the forest of garbage. Replacing an old coal furnace with a more ecological heating method can significantly affect the air quality in your immediate area.
Last but not least – taking care of individual decisions that benefit the environment is a habit. It’s good to have it if you ever become an influential person in a company or organization. For example, I was invited to write an article for this growing blog and I can use my past eco-friendly experiences 🙂
About the person:
Pawel Strzelczyk is a Polish engineer, traveller, mountaineer and ex-musician. He studied at the University of Gdańsk, the Gdańsk University of Technology and the Warsaw University of Technology. Later he lived and worked in different countries in Europe before returning to his homeland. In the process, he got to know many cultures, people and ways of thinking. Pawel Strzelczyk travelled from Belgium to the south of Corsica without a plane and without using disposable plastic, which can be read on Polarsteps.
Links:
Article stating that the greats of this world and corporations are responsible to make decisions and take actions in the matter of climate change: https://krytykapolityczna.pl/serwis-klimatyczny/katastrona-klimatyczna-indywidualizacja-winy/ (last accessed on 13/01/2024)
Video “First Follower: Leadership Lessons from Dancing Guy” https://www.youtube.com/watch?v=fW8amMCVAJQ (last accessed on 13/01/2024)
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