3 Der zu frühe Frühling
Ans Ufer gestellt
Die nächsten Wochen verschwanden in jener Art Hektik, die dem modernen, im sogenannten Wohlstand lebenden Menschen eigen und selbstverständlich ist. Nur in kurzen Momenten hatte ich gelegentlich das Bewusstsein, einen Seitenblick auf Remus zu werfen. Der verbrachte eingerollt oder ausgestreckt, dösend oder schlafend seine Stunden der Ruhe, nur um seine Energie für jene Aktivitäten aufzusparen, die wirklich Spaß machten oder aufregend waren.
Die Arbeit war wie ein Fluss: dessen Wasser kommt stets nach. Wer eine Pause will, muss lernen, die Augen vom Strom abzuwenden und sich einen Augenblick ans Ufer zu stellen. Wer eine Pause will… als ob es das höchste aller Ziele wäre, möglichst wenig Pausen zu wollen, zu brauchen.
Doch am Sonntag war es so weit – wir traten aus dem Arbeitsfluss, hinein in einen anderen, der ebenfalls (zum Glück!) zum Lebensfluss gehörte: Wir fuhren in den Nationalpark. Auch dort lag wenig Schnee und der Anblick völlig schneefreier Südhänge bis in hohe Lagen war in diesem geschützten Rest an Natur noch viel erschreckender als in der ungeschützten, „zivilisierten“ Heimat. Wenn nicht einmal im größten Nationalpark Österreichs, den Hohen Tauern, die Natur noch intakt war, welche Chance konnte der Rest dann noch haben?
Es war Anfang März, Sven und ich hatten je warme Skiunterwäsche mitgenommen. Auf 2.500 Metern herrschte hier, während im Tal schon der Frühling anklopfte, noch Winter mit üppiger Schneelandschaft, mitunter eisigem Wind, gerade auf den Bergrücken. So war das zumindest einmal gewesen.
Das war vorbei.
Um die Außenzone der geschützten Nationalparkfläche sind Skigebiete erlaubt. Diese zeigten sich jetzt als wahrlich traurige, durch Kunstschnee erhaltene Zungen von weißen Skipisten, die sich die Hänge zwischen Berg- und Talstationen herunterzogen und von grünbraunen Wiesen des frühen Frühlings umgeben waren. Ich beobachtete die einzelnen Figuren, die diese schmale Piste in noch schmaleren Kurven herunterfuhren und fragte mich, ob diese Art von („Winter“)Sport überhaupt Spaß machen konnte.
Das Trauerspiel um das fehlende Winterliche dieser Jahreszeit (sic! Und das von einem Menschen, der jährlich im Herbst mit den kürzer werdenden Tagen zu kämpfen hat) setzte sich bei unserer ersten Tour am nächsten Tag fort. Sogar auf der Nordseite des Bergs, in der Talsohle neben der kalten Isel, war es unnatürlich warm. Doch man passt sich an: Kleidungsstücke werden entfernt und man läuft weiter.
Die Frage bleibt, wohin wir als Menschheit gehen.
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