5 Schlaflos
Die Flutwelle fragt nicht an
Manchmal war ich des Kämpfens müde.
Dann schlief ich erschöpft ein und lag später nachts wach, meistens gegen 3 Uhr in der Früh. Die Verzweiflung quälte mich. Tagsüber erwischte ich mich dabei, wie ich während der Arbeit eine Leere wahrnahm. Wie ich während meiner täglichen Spaziergänge mit Remus abwesend war, in mir Worte aus Medienmitteilungen nachklangen. Wie der österreichische Bundeskanzler sein Land in der Rede zur Zukunft der Nation als „Autoland“ bezeichnete und fragte, ob Verzicht die richtige Antwort sei und Wohlstand, Umwelt und Klimaschutz einander ausschlossen. Wie immer noch darüber gesprochen wurde, den Wohlstand zu vermehren und die Wirtschaft anzukurbeln. Nein, die Dringlichkeit und Bedeutung des Klima- und Biodiversitätsschutzes waren noch nicht angekommen. Genauso wenig wie die Erkenntnis, dass mehr materieller Luxus genau das Gegenteil von glücklich machte.
Meine Arbeit erfüllte mich, so sehr man das von einer Arbeit wünschen konnte. Es war interessant, sich mit der Resilienz, der Widerstandsfähigkeit von Agroforstsystemen gegenüber den klimatischen Veränderungen, die der Klimawandel mit sich brachte, auseinanderzusetzen. Schon seit einigen Jahren beschäftigte ich mich mit diesen landwirtschaftlichen Mischsystemen, die Bäume mit Ackerbau oder Tierhaltung kombinierte. Den Aspekt der Klimawandelresilienz betrachtete ich als willkommene Ergänzung und Vertiefung meines bisher eher pflanzenphysiologischen Wissens und Zugangs.
Doch der Grad der Interessantheit dieser Arbeit reichte nicht, da brauchte ich mir nichts vorzumachen. Ich mochte fasziniert vom Thema sein, der Rest der Welt war es nicht.
An Wegrändern (oder auch mitten drauf) sprach der hinterlassene Müll klare Botschaften („Die Welt ist mir egal!“). Übrigens tat das auch die Menge an säuberlich getrenntem Bio-, Plastik- und Restmüll der Haushalte. Weniger offensichtlich für den einzelnen Fahrer, wohl aber für Menschen, die in der Nähe stark befahrener Straßen lebten, war das immense Verkehrsaufkommen. Doch was mir mit den Jahren am meisten zusetzte, waren Aussagen und Handlungen naher Menschen, Familienmitgliedern und Freunden, die ein Weltbild widerspiegelten, in der das Gefühl von Belangreichtum mit dem eigenen Gartenzaun bzw. Garagentor endete.
Schwer war es manchmal, das zu schlucken. Nicht dass ich den Impuls hatte, etwas gegen Lindas Flugreise für ein Konzertwochenende in England zu äußern. Sie war ein guter Mensch, empathisch für ihre Freunde. Nur nicht zur Natur. Aber wir lebten in einem (sinn)freien Land – jeder konnte tun, was er wollte.
War es wirklich so schwierig, den Konnex zwischen Flugreisen und den ökologischen Konsequenzen zu ziehen?
Mein Unverständnis ging manchmal so weit, dass ich mir – in schlaflosen Nächten beispielsweise – die Frage stellte, ob der „Fehler“ vielleicht bei mir lag. War ich zu felsenfest davon überzeugt, dass es einen Unterschied machte, welche individuellen Entscheidungen wir alltäglich trafen? War das ein sinnloses Unterfangen und sollten wir nicht alle noch, solange wir können, das Leben genießen?
Hinter uns die Sintflut.
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