Plus vier Grad in den Alpen
Plus vier Grad in den Alpen
Können wir in Mitteleuropa bald Zitrusfrüchte anbauen? Zwei Grad Klimaerwärmung global bedeuten im Alpenraum eher vier Grad. Es wird mehr trockene Tage geben, gleichzeitig nehmen Starkniederschläge zu. Ein Gespräch mit dem österreichischen Meteorologen Johannes Vergeiner.
Gefühlt hat es dieses Jahr nur geregnet. Bikini und Badehose jedenfalls blieben überwiegend trocken – lagen sie doch schließlich in der Schublade. 2021 liegt niederschlagsmäßig jedoch (bis jetzt) nicht außerhalb der klimatischen Norm. Wer das nicht glaubt, der kann sich das Klimamonitoring von “Geosphere Austria” (ehemals die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, kurz ZAMG) ansehen. Oder Johannes Vergeiner fragen. „Der Niederschlag ist eine Größe, die von Jahr zu Jahr und Jahreszeit zu Jahreszeit sehr stark variiert, viel mehr als die Temperatur. Das hängt einfach mit der Wetterkonfiguration zusammen – einmal kriegt man mehr Luft vom Norden oder Süden und so weiter. Das Interessante dabei ist, dass in Österreich die Niederschlagssumme im Jahr zwar annähernd gleich bleibt, die Verteilung sich aber ändert“, erklärt der Meteorologe. Konkret: Es gibt mehr Tage ohne Niederschlag als vor 30, 40 Jahren. Doch wenn es regnet – vor allem im Sommer, der wärmer ist und deshalb mehr thermische Energie besitzt als früher – entwickeln sich Schauer- und Gewitterwolken intensiver. Und es regnet mehr. Mit all den bekannten Problematiken wie Murenabgänge und überflutete Keller.
Hinzu kommt noch ein weiterer Effekt, der diesen nassen Sommer zumindest mitverschuldet hat: Ist der Boden einmal sehr feucht, verdunstet mehr Wasser, wenn es wärmer ist. Damit ist die Luft wieder feuchter – und schwups regnet es schon wieder! „Ist es im Frühjahr beispielsweise trocken, bleibt es oft länger, also wochenlang, so. Bis eine Wetterfront kommt, die Feuchtigkeit heranführt. Deshalb gibt es feuchte und trockene Sommer. Es ist die normale Bandbreite, die wir haben“, klärt Vergeiner auf.
Heiß, heißer, Schnee ade?
Doch genug vom Regen. Wovon die Welt spricht sind zwei Grad, manchmal auch nur eineinhalb. Gemeint ist die globale Lufttemperatur: Ihre Erwärmung soll nicht über zwei Grad hinaus gehen, wie die 195 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen 2015 in Paris beschlossen. Das Ziel des Übereinkommens lautet, die menschengemachte globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu beschränken. „Wenn man in die Zukunft schaut und sich fragt, was wäre, wenn es global zwei Grad wärmer wird, muss man sagen: Das wird bei uns im Alpenraum Richtung vier Grad Erwärmung gehen“, informiert Vergeiner. Der Grund ist ein physikalischer: Wasser reagiert träger als Luft. Landflächen erwärmen sich damit schneller als die Wasserflächen der Meere. Wer nun vier Grad für übertrieben hält, dem sei vor Augen gehalten, dass die Temperatur im Mittel in Österreich bereits nachweislich stärker gestiegen ist als global – nämlich um 2,0 anstatt 1,1 Grad, wie es weltweit der Fall war. Doch was bedeuten vier Grad überhaupt?
Stellen wir uns die Auswirkungen konkret für die heißesten Tage des Jahres vor. Die Höchstwerte in diesem eher verregneten Sommer lagen in Bregenz bei 34,2 Grad, in Innsbruck hatte es schon 36,3 Grad und in Wien wurden sogar 37,2 Grad gemessen. Addieren wir, nur als Gedankenspiel, nochmals zwei Grad zu den 34, 36 bzw. 37 Grad dazu – nun, wem hier nicht der Schweiß rinnt…
Großräumig betrachtet befindet sich Österreich nun öfter im subtropischen Hochdrucksystem des Mittelmeerraumes, das jetzt weiter nach Norden stößt.“
Weinbau, Zitrusfrüchte, Borkenkäfer
Übrigens sind bislang von Geosphere Austria keine jahreszeitlichen Unterschiede in der Erwärmung zu beobachten. „Der jahres- und tageszeitliche Rhythmus bleibt gleich, bewegt sich jedoch auf einem höheren Niveau. Die Erwärmung kann quasi überall auf die bisherigen Temperaturwerte draufgeschlagen werden. Es wird also weniger ganz kalte Tage im Winter geben, dafür mehr ganz heiße Tage im Sommer. Das ganze Temperaturniveau wird angehoben werden – das ist die erwartete Zukunft“, sagt Vergeiner. Die meteorologischen Beobachtungen in Österreich zeigen außerdem sehr geringe räumliche Unterschiede. Es gebe aber Mechanismen, merkt der Fachmann an, die lokal zu einer höheren Erwärmung führen können. Etwa wenn an einem Ort früher zu einer bestimmten Jahreszeit mehr Schnee lag. Dieser reflektiert nämlich deutlich mehr Strahlung als die Oberfläche darunter, weshalb der Untergrund kühler bleibt. Fehlt nun der Schnee, wird weniger Strahlung reflektiert und es kommt zur stärkeren Erwärmung. Positive Rückkopplung nennt man das. Sie erklärt, weshalb es höhenabhängig zu einer stärkeren Erwärmung kommen kann.
Wichtig ist auch, welche Luftmassen den Alpenraum beeinflussen. „Großräumig betrachtet befindet sich Österreich nun öfter im subtropischen Hochdrucksystem des Mittelmeerraumes, das jetzt weiter nach Norden stößt“, erklärt Vergeiner. Für die Landwirtschaft bedeuten die höheren Temperaturen eine längere Vegetationsperiode – das heißt, die Saison fängt früher an und hört später auf. „Wir sind da bei ungefähr drei bis vier Wochen mehr als vor 50 Jahren. Es ist deutlich bemerkbar“, informiert der Meteorologe. „Pflanzen können länger wachsen, was hinsichtlich landwirtschaftlicher Produktivität potenziell einen Vorteil ergibt. Man kann hier Kulturarten anbauen, die es früher nicht vertragen hätte, etwa Wein. In begünstigten Lagen kann man auch mal an Zitrusfrüchte denken.“ Doch man darf sich nicht zu früh freuen. Denn das „günstige“ Klima ist auch für Schädlinge günstig. Anstatt zwei Brutzyklen im Sommer schaffen sie beispielsweise drei und vermehren sich entsprechend. In der Forstwirtschaft fällt hier das Stichwort Borkenkäfer, doch auch landwirtschaftliche Schädlinge und Plagegeister, die den Menschen heimsuchen, profitieren von den wärmeren, eben mitunter auch feuchteren Sommern und auf jeden Fall milderen Wintern.
Gleichzeitig werden die Böden trockener. Das klingt zunächst absurd, insbesondere im niederschlagsreichen Vorarlberg. Doch die Bodenfeuchte hängt eben nicht nur von der Menge an Regen ab, die auf den Boden fällt, sondern auch von der Menge an Regen, die im Boden bleibt. Ist es heißer, verdunstet mehr Wasser aus dem Boden. Das trocknet die Böden aus. Im Osten Österreichs, so Vergeiner, ist das bereits jetzt ein starkes Problem. „Was wir beobachten ist, dass der Jahresniederschlag gleich bleibt, aber aufgrund der höheren Temperaturen mehr Wasser aus dem Boden verdunstet und damit nicht für die Pflanzen verfügbar ist.“ Doch trockene Böden behindern nicht nur das Pflanzenwachstum direkt, sie können auch zur Abtragung von Boden, zu Bodenerosion, führen. Laut Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) verschwindet heute durch Erosion im Durchschnitt deutlich mehr Boden von den österreichischen Ackerflächen als durch Gesteinsverwitterung neu gebildet wird. Dem Potenzial einer längeren Vegetationszeit stehen also reale Nachteile gegenüber.
Menschengemacht. Punkt.
Der Klimawandel, so abstrakt zu fassen und komplex er auch ist, findet bereits statt. Für die meisten Wissenschaftler/innen und Expert/innen, wie auch Vergeiner, steht außer Frage, dass er menschengemacht ist. Über eine mögliche Abbremsung der globalen Erderwärmung und die notwendigen Maßnahmen lesen Sie im nachfolgenden Interview:
Ist der Klimawandel vom Menschen verursacht? Was sagt die Wissenschaft?
Johannes Vergeiner: Aus meiner Sicht gibt es da keine zwei Meinungen – menschengemacht. Punkt. Und menschengemacht bedeutet im Wesentlichen durch den Ausstoß von Treibhausgasen. Kohlenstoffdioxid (CO2) und Methan (CH4) sind hier sicher die beiden wichtigsten.
Kann man den Klimawandel überhaupt noch stoppen beziehungsweise abbremsen und wenn ja, in welchen Zeiträumen?
Es gibt eine Trägheit im Klimasystem beziehungsweise in der Atmosphäre: Was in den nächsten zwanzig Jahren passieren wird, basiert großteils auf Emissionen, die bereits stattgefunden haben. Was wir jetzt tun, wirkt sich dann auf die kommenden Zeiten nach 20 Jahren aus.
Weshalb ist das so?
Die CO2-Konzentration, die wir jetzt in der Luft haben, bleibt eine Zeit lang dort und bleibt damit dort auch wirksam. Wärme, die von der Erde abgestrahlt wird, bleibt folglich im „Treibhaus“, wird also zurückgehalten wie unter einer Glasscheibe, um bildlich zu sprechen. Das Sonnenlicht kommt durch, doch die Wärme kommt nicht raus.
Negative Emissionen: Ist die Rückbindung von CO2 möglich?
Hier möchte ich zuerst vorwegschicken, wie ist es überhaupt zustande gekommen ist, von negativen Emissionen zu sprechen. Beim Bericht des Weltklimarats von 2014 hat man erkannt, dass man über das 1,5-Grad-Ziel hinausschießen wird, wenn man jetzt nicht irgendwie versucht, ein technisches Mittel zu entwickeln, das CO2 bindet. Es gibt hier zwei Ansätze, um diese technischen Lösungen zu denken: Man kann versuchen, Sonneneinstrahlung auszuschließen – etwa durch große Sonnensegel irgendwo im Weltall oder durch künstliche Wolkenbildung, mit all den Folgen, die das jeweils hat – oder man kann versuchen, CO2-Emissionen aus der Erde zu entnehmen und dauerhaft zu binden. Der Mensch mag halt gerne technische Lösungen.
Kann die Rückbindung von CO2 funktionieren?
Die Wirksamkeit einer CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird mit ungefähr 100 Jahren angegeben und hängt vom Ausstoß, der Konzentration und deren Veränderung ab. Die Rückbindung ist unter anderem auch davon abhängig, wie nahe das CO2 dem Boden ist. Aber: Heute befinden sich alle Techniken immer noch total in den Kinderschuhen, werden nur in kleinem Maße ausprobiert und es gibt sie noch überhaupt nicht in der Größenordnung, die es für eine Klimawirksamkeit braucht. Ich traue mich nicht auszuschließen, dass wir in einigen Jahrzehnten dahin kommen, doch derzeit sind wir davon weit entfernt.
Was wären Ihrer Meinung nach die richtigen Maßnahmen?
Die ganz große Überschrift lautet hier: Anreize für alles, was CO2-Emissionen mit sich bringt, entsprechend teuer zu machen. Kostenwahrheit. Denn CO2-Ausstoß ist in Wahrheit teuer für die Menschheit. Die Verantwortung liegt für mich bei den politischen Entscheidungsträgern, die richtigen Teuerungsmechanismen herzuleiten. Eine CO2-Bepreisung ist sicher notwendig, so wie es notwendig ist, ökologisch-soziale Ausgleichsmaßnahmen zu setzen.
Was sagen die meteorologischen Messungen und was die Klimamodelle, wie es weitergeht?
Die Antworten gehen in dieselbe Richtung: Die Temperaturen werden steigen, an Land noch stärker als über dem Meer. Es wird mehr Tage ohne Niederschlag geben und gleichzeitig stärkere Niederschläge.
Link zum Klimamonitoring: www.zamg.ac.at/cms/de/klima/klima-aktuell/klimamonitoring
Zur Person:
Johannes Vergeiner, Jahrgang 1968, arbeitet seit fast zehn Jahren bei Geosphere Austria (ehemals Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, ZAMG) in Innsbruck. Nach seinem Studium der Meteorologie forschte er zunächst im Bereich Föhn, später wandte er sich in Neuseeland zunehmend dem Bereich Umwelt und Klima zu. Er wirkte auch am Projekt Klimaatlas für Tirol und Norditalien mit. Seine heutigen Schwerpunkte bei Geosphere Austria sind Klima- und Umweltmeteorologie (z.B. Ausbreitung von Schadstoffen in der Luft).
Dieser Text mit Interview erschien in leicht veränderter Form der marie-Ausgabe #63 im September 2021.