Biodiversität
Die missachtete planetare Grenze
Die Biodiversität – die Vielfalt auf Ebene der Gene, Arten und Ökosysteme – wird in der Diskussion um den Klimawandel oftmals vernachlässigt. Dabei betonen Wissenschaftler die Bedeutung der Biodiversität für den Planeten und definieren sie als planetare Grenze. Wird diese Grenze überschritten, ist die Stabilität des Gesamt-Ökosystems der Erde und damit die Menschheit gefährdet (siehe auch Blog-Beitrag „Planetare Grenzen“).
Seit fast vier Milliarden Jahren haben sich die Biosphäre und das Klima gemeinsam entwickelt. Übergänge zwischen Zeitperioden in der Erdgeschichte wurden oft durch erhebliche Verschiebungen im Klima, in der Biosphäre oder in beiden gekennzeichnet. Deshalb entwickelten Forscher das ursprünglich kuchenförmige Modell der planetaren Grenzen weiter hin zu einem hierarchischen Modell, das den Klimawandel und die Integrität (die Intaktheit) der Biosphäre anerkennen:
Adaptiertes Modell der planetaren Grenzen mit dem Klimawandel und der Integrität der Biosphäre als essentielle ökologische Belastungsgrenzen. Nach Steffen et al. (2015)
Biodiversität und Biosphäre
Anfangs wurde anstelle der Integrität der Biosphäre von Biodiversitätsverlust gesprochen. Wenngleich der Biodiversitätsverlust eine wesentliche Komponente ist, die die Unversehrtheit der Biosphäre gefährdet, so wird darüber hinaus die Funktion von Ökosystemen differenziert. Beide Begriffe sind dennoch eng miteinander verwoben, da die Funktion von Ökosystemen maßgeblich von den sich darin befindenden Arten abhängt. Doch der Reihe nach.
Unter der biologischen Vielfalt oder „Biodiversität“ versteht man die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Sie integriert die genetische Vielfalt, die Artenvielfalt und die Vielfalt der Ökosysteme. Als Ökosysteme werden wiederum mehr oder weniger abgegrenzte ökologische Funktionseinheiten aus belebten und unbelebten Komponenten verstanden – etwa Wälder, Meere, Küsten, Flüsse, Sümpfe, Tundren, Steppen. Gemeint sind dabei sowohl belegte (Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen) als auch unbelegte Komponenten (Geologie, Atmosphäre, Wasser). Obwohl sie „mehr oder weniger“ abgegrenzt sind, sind Ökosysteme doch offene Systeme, in die Energie zu- und abgeführt wird (etwa durch Luft- und Wasserströme, aber auch durch Bewegungen von zum Beispiel Tieren). Versagt das ökologische Gleichgewicht eines Ökosystems, kann sich dessen Gesamtcharakter ändern bzw. zerstört werden. Die Biosphäre wiederum umfasst die Gesamtheit aller Räume eines Himmelskörpers, in denen Lebewesen vorkommen (Anmerkung: gegenwärtig ist der einzige Himmelskörper, der eine Biosphäre besitzt, von der wir wissen, die Erde, also wird der Begriff synonym für die Biosphäre der Erde benutzt).
Manchmal wird in den Naturwissenschaften von Schlüsselarten gesprochen. Diesen Arten wird im Vergleich zu ihrer geringen Häufigkeit ein unverhältnismäßig großer Einfluss auf die Artenvielfalt einer Lebensgemeinschaft zugesprochen. Ein Beispiel: Das Vorhandensein von Bibern – auch in geringen Zahlen – schafft durch den Dammbau der Tiere eine lokal ganz andere Gewässerdynamik mit Totholz im Wasser und lichten Bereichen. Dies hat große Auswirkungen auf den Artenreichtum bei Fischen, Insekten, Weich- oder Krebstieren und anderen Lebewesen sowie Pflanzen. Eine andere Schlüsselart ist der Wolf. Ihre Präsenz im Wald hat großen Einfluss auf die Wildpopulation und den Wildverbiss, der sich wiederum auf den Wald in seiner Artenzusammensetzung und Naturverjüngung auswirkt.
Bedeutung der Biodiversität
Ohne die biologische Vielfalt würde unser gesamtes Unterstützungssystem für menschliches und tierisches Leben zusammenbrechen. Wir sind auf die Natur angewiesen – für die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken und die Nahrung, die wir essen. Es ist die biologische Vielfalt in Form gesunder Ökosysteme, die „unsere“ Luft und „unser“ Wasser filtern, „unseren“ Boden gesund und fruchtbar halten und ökologische Puffer gegen Unwetter bieten. Diese natürlichen – „naturbasierten“ – Prozesse können global nicht durch Technik ersetzt werden.
Die Basis aller Ökosystemleistungen (wie der Wasser- und Nährstoffkreislauf und die Filtration der Luft) sind intakte, gesunde Ökosysteme, die maßgeblich von der Biodiversität abhängen. Es gilt: Je höher die Biodiversität, desto intakter ein Ökosystem und desto diverser und hochwertiger die Ökosystemleistungen, die wir Menschen von der Natur beziehen.
Artenvielfalt in Zahlen
Zur Artenvielfalt – als uns zugänglichster Teil der Biodiversität – gibt es beeindruckende Statistiken bzw. sehr unterschiedliche Schätzungen. Die Schätzgroßen reichen von 3,6 Millionen bis 112 Millionen Arten. Die Schwierigkeit liegt insbesondere in der Schätzung der Insektenarten. Etwas besser eingrenzen lässt sich die Gruppe der Wirbeltiere, für die 2022 etwa 75.000 Arten bekannt waren. Dazu kommen 1,5 Millionen bekannte Arten von Wirbellosen und über 400.000 bekannte Pflanzenarten. Deutlich kleiner werden die Zahlen für Säugetiere. Im Jahr 2022 waren rund 6.500 Säugetierarten bekannt.
Biodiversität in Bildern
Was können Zahlen ausdrücken im Vergleich zu Bildern? Hier ein winziger Ausschnitt der Artenvielfalt der Erde.
Bild: Global Landscapes Forum
Quellen:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2021): Planetare Belastbarkeitsgrenzen. https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit-digitalisierung/nachhaltigkeit/integriertes-umweltprogramm-2030/planetare-belastbarkeitsgrenzen
Inter- und transdisziplinäres Netzwerk zu
Biodiversität & Ökosystemleistungen in Österreich. https://www.biodiversityaustria.at/infothek/oekosystemleistungen/ (abgerufen am 29.07.2023)
Lexikon der Pflanzenforschung. https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/biodiversitaet-720, https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/lexikon-a-z/oekosystem-733 (abgerufen am 26.07.2023)
Statistik der Artenvielfalt: Anzahl der entdeckten Arten von Organismen auf der Welt nach Gruppen von 2012 bis 2022. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37135/umfrage/artenvielfalt-weltweit/ (abgerufen am 26.07.2023)
Steffen et al. (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: Science. Band 347, Nr. 6223; doi:10.1126/science.1259855
Steffen, Rockström et al. (2009): Planetary boundaries: Exploring the safe operating space for humanity. In: Ecology and Society. Band 14, Nr. 2; ecologyandsociety.org
Umweltdachverband Österreich. „Schützen, was wir schätzen“. https://www.umweltdachverband.at/themen/naturschutz/biodiversitaet/ (abgerufen am 29.07.2023)
Wikipedia-Beitrag zu Ökosystemdienstleistungen. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96kosystemdienstleistung (abgerufen am 29.07.2023)
Wikipedia-Beiträge zur Artenvielfalt und Anzahl der Säugetiere. https://de.wikipedia.org/wiki/Artenvielfalt#Sch%C3%A4tzungen_der_Gesamt-Artenzahl_der_Erde, https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4ugetiere (abgerufen am 26.07.2023)